Kritik
Kein Wunder, dass man diese 80er-Jahre Perle im Jahre 2022 ausgegraben und neu herausgebracht hat, denn heutzutage könnte man so einen Film schlichtweg nicht drehen. Und wenn man es doch tun würde, dann wäre man von der allgegenwärtigen politischen Korrektheit sicherlich zu sehr blockiert und nicht in der Lage, einen authentischen 80er-Jahre Film zu erschaffen, ohne das Bild zu verzerren, weil man die ganze Zeit im Hinterkopf hätte: „Ich kann meine Darsteller das auf keinen Fall sagen lassen! Auch dann nicht, wenn der Film in den 80er Jahren spielt.“ Heute ist man ständig bestrebt, nettere Umschreibungen und Alternativen für manche Wörter zu finden, weil man zu große Angst davor hat, missverstanden zu werden. Man denkt zu viel nach und versucht bereits beim Drehen die potenzielle Kritik vorwegzunehmen, weil man sich davor fürchtet, dass der Film mit homophoben, rassistischen und frauenfeindlichen Äußerungen ein Eigentor schießen könnte, weil man die vorhandene Kritik daran eher als Verherrlichung der Misogynie, des Rassismus und als Schwulenhass interpretieren könnte.
Das Gute an The Boys Next Door ist, dass man sich eben keine Gedanken über solche Dinge macht und mit roher Intensität einen ungeschönten Blick auf die Welt der 80er Jahre zeigt. Weder das „N-Wort“ noch andere rassistische oder homophobe Äußerungen sind ein Problem. Dabei geht es nicht darum zu schockieren, sondern die reale Welt abzubilden, die genauso war, als der Film im Jahre 1985 herauskam. Natürlich wirkt eine solche Proletensprache auf den ersten Blick befremdlich, gerade wenn man nur die 80erJahre Feel-Good-Movies kennt, aber der Film ist gerade deswegen einen Blick wert, weil er so ungefiltert und echt wirkt. Hier ist eine kleine Kostprobe der eher noch harmloseren Art: „Du fickst Punkrocker?“, fragt Roy (Maxwell Caulfield, ). Darauf antwortet Bo (Charlie Sheen, Two and a Half Men): "Ich ficke Zigarettenanzünder, wenn mein Schwanz reingeht!“ Bos Rolle ist Charlie Sheen tatsächlich wie auf den Leib geschnitten. Wie besessen folgt er Frauen, die ihm gefallen und hofft endlich zum Schuss zu kommen. Während sein Kumpel Roy seine innere Wut ständig zu unterdrücken versucht, es aber nicht schafft. Irgendwann mal kommt diese Wut an die Oberfläche und mündet in gewalttätige Exzesse. Es ist eigentlich auch gar nicht die Gewalt selbst, die so ungewöhnlich ist, sondern die Situationen, in denen sie zum Vorschein kommt. Es kommt für die Opfer stets unerwartet, weil sie sich immer in Sicherheit wähnen, kurz bevor Roy sich ihrer annimmt.
Die Verkörperung von Roy ist Caulfield ausgezeichnet gelungen, weil er authentisch jemanden spielt, der auf der einen Seite so gefühlskalt und mitleidslos ist, aber auf der anderen Seite auch mit seinem Hass völlig überfordert ist und nicht weiß, wie er damit umgehen soll. Am liebsten möchte er die ganze Wut herauslassen, aber er findet einfach keinen Weg es zu tun, ohne andere Menschen zu verletzen. Eigentlich ist er ein tragischer Held, der sich seiner Bedeutungslosigkeit in dieser Welt bewusst ist und genau weiß, dass ihn keine glorreiche Zukunft erwartet, sondern ein eintöniger Alltag in einer Fabrik. Er sieht sein Leben aus der Vogelperspektive und seine Zukunftsvisionen erscheinen ihm völlig aussichtslos. An dieser Stelle kritisiert der Film die Gesellschaft der 80er Jahre, in der White-Trash Jungs aus dem Trailerpark keine Zukunft haben. Ihr ganzes Leben ist vorprogrammiert und alles bis ins kleinste Detail steht schon fest. Für sie gibt es nur noch die Alternative zu schuften bis sie irgendwann mal sterben.
Doch Roy und Bo möchten sich noch nicht ihrem Schicksal ergeben und beschließen deshalb kurz vor ihrem Arbeitsbeginn noch einen letzten Roadtrip nach L.A. zu unternehmen, der ihnen die Gelegenheit gibt nochmal richtig zu leben. Das Interessante an Roys Figur ist nicht nur seine Faszination vom Töten, sondern auch eine mögliche Deutung der Gründe für seinen Hass. Natürlich ist einer der typischen Gründe, die mangelnde Liebe und Beachtung seiner Eltern, doch der andere Grund, der genauso infrage kommt, ist die unbewusste Homosexualität, weil er eventuell seine Gefühle für seinen Kumpel Bo unterdrückt und sie gar nicht als solche wahrnimmt, sondern mit all seinen Empfindungen überfordert ist und gar nicht erkennt, dass seine Zuneigung für Bo auch sexueller Natur sein könnte. Es gibt im Film auf jeden Fall mehrere Anhaltspunkte, die diese These unterstützen, doch anderseits ist es vielleicht auch nur brüderliche Liebe, die er für Bo empfindet. Wie dem auch sei, die Chemie zwischen den beiden Jungs stimmt und die Geschichte stimmt auch.
Die Drehbuchautoren Glenn Morgan (Final Destination) und James Wong (Trick or Treat) waren zum Zeitpunkt der Entstehung des Films selbst gerade erwachsen geworden und verarbeiteten rohe Teenager-Emotionen in ihrem Script. Mit Hilfe der Regisseurin Penelope Spheeris (Wayne's World) gelang es ihnen, ein intensives Werk abzuliefern. Spheeris distanzierte sich jedoch Jahre später von The Boys Next Door, aufgrund seiner expliziten Gewaltdarstellung, doch damals wollte sie mit dem Film auf die gesellschaftlichen Missstände aufmerksam machen. „Das Duo sollte die komplette Ziellosigkeit des von Konsum, zwanghafter Anpassung, vermeintlicher Normalität und Leistungsdruck geprägten weißen 80er-Jahre Kults vermitteln.“ Ihrer Meinung nach, hatte die amerikanische Lebensweise großen Anteil daran, dass manche Jugendliche unbeachtet blieben, keine Hilfe bekamen und Serienkiller wurden. Heute hätte sie so einen Film nicht mehr gedreht, „weil es schon genug Gewalt auf der Welt gibt.“ Sie musste den Film damals tatsächlich mehrmals bei der Motion Picture Association einreichen, um das begehrte R-Rating zu bekommen, damit auch Jugendliche in Begleitung Erwachsener den Film sehen durften. Deswegen wurden die Tötungsszenen um einiges gekürzt und Schlag- und Schreigeräusche wurden ebenfalls reduziert. Was damals extrem gewalttätig war, wäre heute sicherlich für den geübten Gewaltexzess-Filmliebhaber zu wenig, aber der Film ist dennoch nach wie vor in Deutschland ab 18 Jahren freigegeben. The Boys Next Door ist gerade aus heutiger Sicht besonders sehenswert, weil sich kaum irgendeine zeitgenössische Figur so unterhalten würde wie die Figuren des Films. Die Sprache macht aus dem Film ein trauriges, aber authentisches Zeitzeugnis der 80er Jahre.
Fazit
Eine rohe, schonungslose Abrechnung mit der amerikanischen Gesellschaft der 80er Jahre, die sich nicht davor scheut, Monster zu erschaffen, die in ihrer Hoffnungslosigkeit morden. Intensiv, ungefiltert und kraftvoll richtet „The Boys Next Door“ einen Blick auf diejenigen, die dazu verdammt sind, ein perspektivloses Leben in einem Trailerpark zu führen und sich mit einem zügellosen Gewaltexzess dagegen wehren.
Kritik: Yuliya Mieland
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